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Zusammengestellt von:
• Zita Grócz
(Kathedralbibliothek von Kalocsa)
• Tamás Sajó, Antonio Bernat Vistarini
(Studiolum)
Englische Version: John T. Cull
(College of the Holy Cross)
Deutsche Version: Sonja Lucas
(Deutsche Stiftung Denkmalschutz)
Edition: 2008 – ISBN 963-87196-1-3
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Die Glossen des Petrus Lombardus zu den Paulusbriefen
Petrus Lombardus, Glossa in epistolas beati Pauli, MS 371
Paris um 1250
300 fols. 337 ×264 mm, Pergament
Eine der wertvollsten Handschriften in der Erzbischöflichen Bibliothek von
Kalocsa enthält auf 300 Pergamentblättern die Erläuterungen des Petrus
Lombardus zu den Briefen des Apostels Paulus. 14 figürliche und 13
ornamentale Initialen, die farbig und in Gold gehalten sind, verzieren den
Codex (374 × 264 mm); zahlreiche weitere Initialen sind in roter und blauer
Federzeichnung ausgeführt. Außerdem ist der Textkörper durch weitere
Elemente hervorgehoben: Kopfzeilen, Abschnittsmarkierungen und rote Linien
dienen der Akzentuierung mancher Textstellen. Die hölzernen Buchdeckel und (darauf
eingebrannten) Superexlibri mit den Besitzerwappen lassen darauf schließen,
daß sich dieser Band bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts in österreichischem
Besitz befand. Bereits 1811 wurde er jedoch von Márton György Kovachich in
dem Bestandskatalog seines heutigen Aufbewahrungsortes erwähnt.
Paulus, der dreizehnte Apostel Christi, wurde um das Jahr 5/10 v. Chr. in
Tarsus geboren und starb zwischen 64 und 67 in Rom den Märtyrertod. Neben
seiner Missionstätigkeit schuf er ein riesiges literarisches Werk. Seine
Briefe waren im Mittelalter eine der wichtigsten Quellen der Theologie.
Daher gehören sie zu den wenigen Bücher des Neuen Testaments, die in
gesonderten Bänden kopiert wurden. Diese 13 an Gemeinden oder Einzelpersonen
gerichtete Briefe erhielten im Mittelalter von mehreren Autoren
Erläuterungen. Der Kommentar von Petrus Lombardus (um 1095-1160) gehört zu
den interessantesten und am weitesten verbreiteten seiner Art. Sein Autor
studierte an der Kathedralschule in Paris und wurde dort wahrscheinlich auch
Professor. Er gehörte zu den herausragenden Scholastikern. Seine Sentenzen
und Bibelkommentare wurden zu einem unverzichtbaren Bestandteil der
universitären Lehre.
Die Funktion dieses Bandes erklärt seine ziemlich kleine, handliche Größe
und bestimmt zugleich die Art seiner Gestaltung. Das Buch ließ nur Platz für
kleine Initialen. Es besteht Grund zu der Annahme, dass die meisten
Abschriften dieses Werks in Paris angefertigt wurden. Denn hier entstand in
der Mitte des 13. Jahrhunderts die Handschrift, die als Grundlagentext –
auch für das Exemplar in Kalocsa – verwendet wurde. In dieser Pariser
Ursprungsfassung ist das Buch zweispaltig angelegt, wobei der in
Großbuchstaben geschriebene Text des jeweiligen Briefs mit der
entsprechenden Glosse in kleinerer Schrift alterniert – auch in ein und
derselben Spalte. Außerdem forderte es das Schriftbild, dass jeder
Apostelbrief durch eine figürlichen Initiale oder eine Szene eingeleitet
wird, während der dazugehörende Kommentar mit einer Schmuckinitiale beginnt.
Der Codex in Kalocsa folgt ebenfalls diesem Muster. Seine Besonderheit
gegenüber der Ursprungsfassung besteht darin, daß die P-Initialen zu Beginn
der Paulusbriefe nicht mit dem Porträt des Autors oder einer auf die
Textpassage bezogene Illustration geschmückt sind, sondern vielmehr mit
Ereignissen aus dem Leben des Paulus, seiner Bekehrung oder seinem Tod. Die
Pariser Herkunft dieser Handschrift zeigt sich nicht nur durch ihre Machart
und ihr Schriftbild, sondern auch durch Stilmerkmale. Die Gestalten in den
Initialen mit figürlichen Szenen sind vor einen vereinfachten Hintergrund
gesetzt, der nur wenige Bildelemente enthält. Die Anordnung der Figuren ist
gut zusammengestellt und proportioniert, mit schwungvollen und differierten
Bewegungen. Ihre Gesichter und nackten Körperstellen sind mit feinen Linien
ausgeführt. Die Kleidung ist stoffreich und ausdrucksvoll wiedergegeben. Der
Bildhintergrund ist in der Regel gold gehalten; und unter den Farben
dominiert Rot, Blau und Rosa, abgesehen von dem Weiß der Inkarnate, was
typisch für die Pariser Buchmalerei der Zeit ist. Eine Bereicherung der
Schmuckinitialen sind die Grotesken und Blätter, die aus spiralförmigen
Kletterpflanzen wachsen. Der Stil und die Figurentypen unseres Bandes stehen
mit einer Aristoteles-Handschrift in Verbindung, die sich in Genf, im Musée
d’art et d’histoire de Genève (Ms. Lat. 78), befindet. Aufgrund dieser
Ähnlichkeit kann man den Band in Kalocsa als Werk als eine Pariser Arbeit
aus der Mitte des 13. Jahrhunderts ansehen.
Auswahlbibliographie:
Csontosi János, Catalogus manuscriptorum... In: Magyar Könyv Szemle, 1883.
47. sz.; Radocsay Dénes-Soltész Zoltánné, Francia és németalföldi miniatúrák
Magyarországon. Budapest, 1969. 11., 7. sz.; Boros István: A Kalocsai
Főszékesegyházi Könyvtár kéziratkatalógusa. 1850 előtti kéziratok. Bp. 1989,
362. sz.; Boros István: A Kalocsai Főszékesegyházi Könyvtár. Bp. 1994, p.
49.; Wehli Tünde-Boros István, Bibliák Kalocsán. Kalocsa, 1996. 3. sz.;
Eleen, L., The Illustration of the Pauline Epistles in French and English
Bibles of the 12th and 13th Centuries. Oxford, 1982. |